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Madeleine Schulz & Paul Bunten

„Das Sammeln von Kunst ist nicht mehr die alleinige Domäne von Museen.“

Oktober 2013

Madeleine Schulz & Paul Bunten

Geschäftsführende Gesellschafter bei Preventum, Hamburg

Sie sind mit Ihrem Tätigkeitsfeld Grenzgänger zwischen Kunst und Wirtschaft. Wo liegen aus Ihrer Sicht die Konflikte, wo die Chancen der Zusammenarbeit?

Madeleine Schulz:
In unserer täglichen Arbeit erleben wir die vermeintliche Kluft zwischen Wirtschaft und Kunst im Grunde kaum. Kunst und Kapital, also das Entstehen von Kunst in einem kreativen, freien Kontext sowie zielgerichtetes, wirtschaftliches Handeln haben sich historisch betrachtet sehr häufig wechselseitig bedingt. Sicherlich besteht die Gefahr, dass Kunst zur Auftragskunst verkommt, dass Wirtschaft und Kapital Einfluss darauf nehmen, welche Art von Kunst gezeigt oder erforscht wird. Andererseits ist die Frage zu stellen, welchen Entwicklungsstand die Kunstlandschaft in Deutschland heute hätte, könnten wir uns nicht auch auf hohes bürgerschaftliches Engagement stützen. Ich beobachte, dass Sammler zu Stiftern werden, weil ihre Kunstbestände einen Umfang und eine Bedeutung gewonnen haben, die deutlich den Rahmen des Privaten sprengen. Viele Stifter möchten mit diesem Schritt ihre Sammlung für die Nachwelt erhalten und nicht in erster Linie Steuern sparen.

Paul Bunten:
Die Förderung von Museen und Ausstellungshäusern durch private Mäzene ist aufgrund allseits knapper Kassen ein Gebot der Stunde. Zugleich sehe ich dieses Engagement als positives Signal einer lebendigen Bürgergesellschaft, die keine Erfindung der Gegenwart ist. Ohne diesen Sinn für bürgerschaftliches Engagement in Kunst und Kultur gäbe es kein Städelsches Kunstinstitut in Frankfurt am Main und kein Museum Folkwang in Essen. In der öffentlichen Diskussion sollten wir klar zwischen Dauerleihgaben, Schenkungen, Zustiftungen und Sammlermuseen trennen. Für alle Formen des Ineinandergreifens von privatem und öffentlichem Sammeln sollten zwischen beiden Seiten zu Beginn der Partnerschaft klare Regeln getroffen werden.

Sehen Sie sich selbst eher als Kunstexperten oder eher als Versicherungsmakler?

Madeleine Schulz:
Ich fühle mich weder dem einen, noch dem anderen Lager ausschließlich zugehörig. In unserem Berufsalltag sind wir mit den unterschiedlichsten Sammelgebieten konfrontiert. Hieraus ergibt sich, dass wir trotz eines sehr belastbaren Grundwissens nicht die Expertise etwa eines Kunstwissenschaftlers vorhalten können, der ein Werkverzeichnis eines bestimmten Künstlers zusammenträgt. Ein solcher Wissenschaftler würde dann aber wahrscheinlich überfordert sein, wenn es darum ginge, aktuelle Marktwerte für die Kunstwerke zu bestimmen.

Paul Bunten:
Wir verbinden seit vielen Jahren beide Welten miteinander zu einem Kosmos, in dem wir uns sehr wohl fühlen. Wir beobachten eine zunehmende Sensibilisierung für den Wert von Kunst. Das Bedürfnis, Kunstwerte zu schützen, erfordert wiederum eine hohe Beratungsqualität und gründliche Risikoanalyse. Andererseits wollen sich unsere Kunden mit uns gemeinsam auch über Kunst austauschen. Wir sind beide Kunsthistoriker und waren im Anschluss an unser Studium beide für ein namhaftes, internationales Kunstauktionshaus tätig.

Darüber, was ein Kunstwerk wert ist, wird viel diskutiert. Welche Parameter bestimmen aus Ihrer Sicht den Wert eines Kunstwerks?

Paul Bunten:
Der wirtschaftliche Verkehrswert von Kunst bildet sich im Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage. Für Preise am Kunstmarkt gilt das Prinzip des Vergleichs von untereinander sehr ähnlichen Kunstwerken. Man vergleicht beispielsweise Auktionserlöse für Gemälde mit ähnlichen Bildthemen und vergleichbarer Größe ein und desselben Künstlers aus einer Schaffensperiode. Auktionspreise sind zwar nur Momentaufnahmen, aber sie bieten die breiteste Basis für eine objektivierte und somit nachvollziehbare Schätzung. Ein wichtiges Hilfsmittel bei der Wertermittlung von Kunstwerken sind Online-Datenbanken wie Artnet mit  Millionen von Auktionsergebnissen und Preisentwicklungen.

Madeleine Schulz:
Erfahrene Galeristen nutzen ein komplexes Einflusssystem der Kunstbewertung für die von ihnen vertretenen jungen Künstler. Es besteht aus Preisverleihungen, Pressearbeit, Kunstkritiken, der gezielten Platzierung von Werken in musealen Sammlungen und der Nutzung einer gewissen „Verteilungsmacht“, wenn also bestimmte Werke nicht für jeden Sammler zum Kauf verfügbar sind. Die Taktik, Künstler zu regelrechten Marken zu stilisieren, führt nicht zwangsläufig zur Bewährung des Künstlers am Markt, wie sich immer wieder zeigt. So verzeichneten etwa die „Neuen Wilden“, eine betont expressive Malerei Anfang der 1980er Jahre, innerhalb kurzer Zeit Wertsteigerungen von bis zu 100 Prozent. Die Arbeiten gerieten dann aber rasch aus dem Fokus der Sammler und der Öffentlichkeit. Heute besteht für diese Kunst kaum mehr ein Markt, sie ist im Preis enorm gefallen. Recherchierbares Datenmaterial sollte daher unbedingt durch eigene kunstwissenschaftliche Expertise, ein kennerschaftliches Auge und praktisches Kunstmarktwissen sowie ein belastbares Netzwerk zu Akteuren des Kunstmarktes ergänzt werden.

Warum und wogegen sollte man seine Kunst absichern?

Paul Bunten:
Für alle Teilnehmer des Kunstbetriebs, für die die Beschäftigung mit Kunst Profession ist, wie Museen und Ausstellungshäuser, Kunststiftungen und Corporate Collections, Künstler, Galerien, Kunstauktionshäuser sowie den Kunsthandel gehört die Kunstversicherung zum Risikomanagement. Die finanziellen Risiken beim Umgang mit Kunst sind zu hoch, um sie selbst zu tragen. Private Kunstsammler sollten als Faustformel ab einem Wert von 100.000 Euro eine Kunstpolice abschließen. Die konventionelle Hausratversicherung deckt Kunst nur pauschal bis zu einer Grenze von etwa 20 Prozent ihres Marktwertes ab und versichert nur eine überschaubare Zahl Schadensursachen wie Feuer, Einbruchdiebstahl, Leistungswasser, Hagel und Sturm. Der Sinn und Nutzen einer Kunstversicherung liegt jedoch nicht nur in der Übertragung finanzieller Risiken. Sammler erhalten auch umfassende Beratung beispielsweise zur Inventarisierung von Sammlungsbeständen oder zu optimalen Lager- und Ausstellungsbedingungen.

Madeleine Schulz:
Die Frage, wogegen Kunst versichert werden sollte, stellt sich eigentlich nicht. Professionelle Kunstversicherung versteht sich als Allgefahrenversicherung. Auf diese Weise kommt die Versicherung auch für Schäden auf, die im Zusammenhang mit dem Handling von Kunstwerken entstehen. Das können Missgeschicke im Alltag in den eigenen vier Wänden sein, oder die Beschädigung von Kunst während Transporten sowie im Kontext einer Ausstellung. Der Versicherungsschutz ist also sehr weitreichend. Dieser Ansatz ist berechtigt, denn die Statistiken zu den häufigsten Schadenursachen in der Kunstversicherung zeigen, dass das Gros der gemeldeten Schäden im Bereich der zufallsbedingten Beschädigung von Kunst liegt.

Stichwort Unternehmenssammlungen: Was sind die besonderen Herausforderungen bei der Versicherung von Corporate Collections? 

Madeleine Schulz:
Unternehmenssammlungen sind nicht privat. Sie öffnen sich, um einen Dialog anzuregen. Daher müssen Versicherungskonzepte flexibel sein. Sie sollten Komponenten wie Sammlungsinventar sowie Bestimmung und regelmäßige Überprüfung aktueller Marktwerte enthalten. Zugleich müssen Bausteine ähnlich der Versicherung von Museen integriert werden, damit Sonderausstellungen in den eigenen Räumlichkeiten sowie der Leihverkehr mit Ausstellungshäusern abgebildet werden können. Bei größeren Corporate Collections entwickelt sich oft eine enge Zusammenarbeit mit den jeweiligen Kuratoren. Kleinere Sammlungen sind hingegen nicht selten angegliedert an die Abteilung für Unternehmenskommunikation. Diese Sammlungen werden folglich unternehmensintern nicht mit spezifischer kunstsachverständiger und kuratorischer Expertise begleitet. In diesen Fällen ist Beratung gefragt, die über versicherungstechnische Fragen hinaus geht.

Paul Bunten:
Oftmals sind Unternehmenssammlungen im Rahmen der Inhaltsversicherung des jeweiligen Unternehmens mitversichert. Dies ist die denkbar schlechteste Lösung. Die risikotragende Versicherungsgesellschaft versteht nichts von Kunst. Die Versicherungsbedingungen sind auf kaufmännische und technische Betriebseinrichtung ausgerichtet. Im Schadenfall wissen weder Versicherer noch Versicherungsmakler, was zu tun ist und wie eine adäquate Schadenregulierung erfolgen soll.

Sie arbeiten an der Schnittstelle zwischen Kunden und Versicherern: Wie haben sich die Bedürfnisse auf Kundenseite sowie das Angebot der Versicherer in den vergangenen Jahren verändert? 

Madeleine Schulz:
Auf einen einfachen Nenner gebracht, ist das Sammeln von Kunst nicht mehr die alleinige Domäne von Museen. Immer mehr Menschen interessieren sich nicht nur für Kunst, sondern beginnen auch Kunstsammlungen aufzubauen, wozu auch deren Management gehört. Es entwickeln sich zudem neue Formen des Kunstsammelns, die durch eine wachsende Zahl von Stiftungen und durch ein Ineinandergreifen von privatem Kunstengagement und durch die öffentliche Hand getragene Museen geprägt sind. Mit Blick auf Museen fällt auf, dass der internationale Leihverkehr zu Sonderausstellungen in den letzten 20 Jahren enorm zugenommen hat. Für Kunstversicherer bedeutet das: Es gibt nicht die eine Versicherungslösung, die für alle passt. Die Anforderungen werden komplexer.

Paul Bunten:
Die Anforderungen nach flexiblen Versicherungskonzepten und individueller Beratung stoßen allerdings auf eine entgegengesetzte Entwicklung bei den Versicherern. Die Kunstversicherungssparte ist von der Entwicklung der Versicherungsbranche im Allgemeinen nicht ausgenommen: Aus Kostengründen werden Prozesse verschlankt, Beratungskapazität abgebaut und Versicherungsprodukte zunehmend standardisiert. Dennoch ist für Innovationen Platz, beispielsweise ersetzen Policen inzwischen auch finanzielle Schäden im Zusammenhang mit der Rückgabe von Kunstwerken bei unwirksamem Eigentumserwerb. Der Kunstsammler ist also vor den finanziellen Folgen geschützt, die sich ergeben, wenn er gutgläubig im Kunstmarkt Arbeiten erwirbt, die zuvor gestohlen wurden und deshalb von Rechts wegen gar nicht bei einer Auktion oder in einer Galerie zum Verkauf hätten gelangen dürfen.

Wo sind aus Ihrer Sicht Lücken am Markt für Kunstversicherungen? Fehlen spezielle Lösungen? 

Paul Bunten:
Ein Thema sind zum Beispiel länderübergreifende, integrierte Deckungskonzepte, wenn Galerien mit Niederlassungen in verschiedenen Ländern arbeiten oder Sammler ihre Kunstsammlung auf verschiedene Wohnsitze verteilen. Für bestimmte Zweige des Kunsthandels müssen Konzepte entwickelt werden, die es ermöglichen, auch den internetbasierten Ankauf und Verkauf von Kunstgegenständen zu versichern. Da das Internet keine Ländergrenzen kennt, sind auch hier grenzüberschreitende Lösungen gefragt.

Ist Hamburg ein guter Standort für Sie? 

Madeleine Schulz:
Hamburg nimmt im Versicherungswesen bedingt durch die Bedeutung als Seeplatz eine besondere Stellung ein. Assekuradeure, ausgestattet von Versicherungsgesellschaften mit Vollmachten zur Zeichnung von Risiken und zur Regulierung von Schäden, übernahmen in Eigenregie die Versicherung von Seefrachten. Diese Besonderheit der Transportversicherung ist noch heute vor allem in Hamburg beheimatet. Sie hat viel mit dem britischen Versicherungsmarkt gemein. An diese Tradition lehnt sich auch unsere Arbeit an, schließlich ist die Kunstversicherung als verhältnismäßig junge Sparte aus der Transportversicherung hervorgegangen.

Paul Bunten:
Als Standort für die Kunst hat Hamburg durchaus noch Entwicklungspotenzial. Die Hamburger Kunstlandschaft kennzeichnen international renommierte Ausstellungshäuser und Museen, die Kunsthochschulen sind vielgeachtete Ausbildungsstätten für Nachwuchskünstler. All das verhindert jedoch nicht, dass man in Hamburg durchaus ein wenig neidisch und besorgt in andere Regionen und Städte blickt, die sich auf eine ganz andere öffentliche Förderung und politische Unterstützung im Kunstbereich stützen können. Es gibt ein merkwürdiges Missverhältnis: Hamburg ist die Stadt der Stifter, zugleich ist Hamburg eine der deutschen Großstädte, die Kunst in Politik und öffentlicher Förderung am wenigsten einbeziehen. Es ist auch gut möglich, dass beides einander bedingt.

Welchen Stellenwert hat Kunst bei Ihnen im Unternehmen?

Madeleine Schulz:
Bei unserer Arbeit gewinnen wir direkte Einblicke auch in das aktuelle Kunstgeschehen. Begegnungen mit Künstlern münden nicht selten in den Wunsch, auch Besucher unserer Räumlichkeiten an diesen Eindrücken teilhaben zu lassen. Aktuell umgeben uns Fotoarbeiten von Corinna Rosteck. Die großformatigen Bildserien reflektieren sowohl aufgrund ihrer metallischen Oberflächen als auch thematisch die vielfältigen Erscheinungsformen von Wasser. Die Bilder changieren zwischen Verfremdung und Gegenständlichkeit. In ihrem Bestreben, den Eindruck von Bewegung in einer Momentaufnahme einzufangen, haben die Werke von Corinna Rosteck eine besondere poetische Wirkung. Atmosphärisch treten sie in einen reizvollen Kontrast zur Arbeitsumgebung.

Welcher Künstler oder welches Kunstwerk inspiriert Sie persönlich ganz besonders? 

Madeleine Schulz:
Was mich sehr fasziniert ist die intime Ausstrahlung, die von Zeichnungen allgemein ausgeht. Ich habe den Künstler vor Augen, der oft mit nur wenigen, sehr gezielt gesetzten Strichen und Linien seine Gedanken auf ein Blatt notiert. Diese Direktheit im Ausdruck zusammen mit wagemutigen Zügen, die Zeichnungen nicht selten zu eigen sind, finde ich sehr reizvoll. Es gibt Federzeichnungen aus dem Skriptorium von St. Gallen aus dem 9. Jahrhundert, die auch heute in einer vollkommen veränderten Welt nichts von ihrer Wirkung verloren haben. Sie nehmen Bezug auf biblische Texte, so zum Beispiel eine Handschrift mit den Paulusbriefen. In ihr finden sich Darstellungen des Paulus, der zwischen Römern und Juden schlichtet. Menschengruppen, Hände und Arme gestikulierend in verschiedene Richtungen gestreckt, expressive Gesichter mit ausgeprägter Mimik, alles mit feiner, bewegter und eleganter Feder festgehalten. Diesen Federzeichnungen eines unbekannten Künstlers haftet etwas ganz erstaunlich Zeitloses an, so als ob sie ein allgemeines Zeugnis von menschlichem Handeln und Verhalten ablegen, das Jahrhunderte überdauert.

Paul Bunten:
Kunst berührt uns vor allem dann, wenn sie eben nicht nur Abbild des Tagesgeschehens und der Biographie eines Künstlers ist, sondern etwas Allgemeines und damit Bleibendes zu sagen hat. Ich begeistere mich für das Kunsthandwerk, seien es Silberschmiedearbeiten aus dem Barock oder Historismus oder sogenannte Kunstkammerobjekte. Es ist faszinierend, wie sich in diesen äußerst kunstvollen Objekten, seien es Pokale, in denen sich Nautilus und Goldschmiedekunst zusammenfügen, seien es Kirschkerne, in denen ein ganzer Kosmos eingeschnitzt ist, höchstes handwerkliches Können mit einer sehr komplexen, eigenen Gedankenwelt verbinden. Ein Weltbild in einer Nussschale…

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