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Rene S. Spiegelberger

"Der Hanseat und die Kunst: Lange Zeit geschah das Sammeln im Verborgenen. Jetzt tut sich was."

November 2015

Rene S. Spiegelberger

Spiegelberger Kunst-Stiftung

Gastbeitrag von Rene S. Spiegelberger

Der Hamburger und die bildende Kunst ist ein schwieriges und komplexes Kapitel, wie die Historie zeigt. Doch zwischen Alster und Elbe tut sich gerade einiges. Nur – warum erst jetzt? Dazu lohnt ein Blick in die Geschichte, genauer gesagt auf den Hanseaten und sein Verhältnis zum Adel, die „Hanseatische Ablehnung“ sowie das Stiftungs- und Mäzenatentum in der Hansestadt.

Ein schwerer Stand: Adel in Hamburg

Beginnen wir mit dem Begriff „hanseatisch“ – damit wird eine Kombination von Haltungen und Einstellungen verbunden, zu denen Weltläufigkeit, kaufmännischer Wagemut, Gediegenheit, Verlässlichkeit („Handschlag genügt“), Diskretion, Zurückhaltung sowie die Fähigkeit zur Selbstironie gehören. Ein Bürger, der ein Adelsprädikat eines fremden Herrschers annahm, war in früheren Tagen fortan von der Teilnahme am politischen Leben seiner Heimatstadt ausgeschlossen. Auswärtige Adelige konnten in Hamburg kein Bürgerrecht erwerben und sich nicht am öffentlichen Leben beteiligen. Adolphine Schramm, Mutter des Hamburger Bürgermeisters Max Schramm, die erfahren hatte, dass zwei Adelige ihren unverheirateten Schwestern den Hof gemacht hatten, schrieb ihrer Mutter: „Arme Mutter, wie würdest du dich fühlen, wenn du zwei adlige Schwiegersöhne bekämest; denn ich glaube – nächst Preußen, Schauspielern und Leutnants – hältst du dies für die schlimmste Heimsuchung.“ Bürgermeister Johann Heinrich Burchard (1852-1912) bemerkte zu der Nachricht, seine Majestät geruhe, Rudolph Schröder (1852–1938) in den Adelsstand zu erheben, Majestät könne ihn zwar in den Adelsstand „versetzen“, in ihn „erheben“ könne sie einen hanseatischen Kaufmann jedoch nicht.

Auszeichnung unerwünscht – die „Hanseatische Ablehnung“

Ähnliches wie für die Annahme von Adelsprädikaten galt für die Annahme von „Auszeichnungen fremder Herren“. Auch dieses Ordensverbot, heute Hanseatische Ablehnung genannt, geht auf Hamburger Stadtrecht aus dem 13. Jahrhundert zurück. Die Tatsache, dass die „äußerlich sichtbaren Ordensinsignien den Dekorierten vor seinen Kollegen und Mitbürgern als einen vorzüglicheren auszeichnen sollen“, galt schon damals als ein Umstand, der in entschiedenem Widerspruch zum bürgerlichen Geiste der Verfassung stehe. „Es gibt über dir keinen Herren und unter dir keinen Knecht.“

Der Hanseat bekomme seinen Lohn in dem Bewusstsein erfüllter Pflicht, nicht etwa durch Auszeichnungen. Altbundeskanzler Helmut Schmidt lehnte das Bundesverdienstkreuz mehrfach mit der Begründung ab, ehemaliger Hamburger Senator zu sein. Bekannte Ablehner des Großen Bundesverdienstkreuzes waren ferner unter anderen Hans-Olaf Henkel, Inge Meysel, Jan Philipp Reemtsma, Günter Grass, Heidi Kabel oder auch Siegfried Lenz.

Ende des 18. Jahrhunderts fasste Jonas Ludwig von Heß die Weltsicht des Hanseaten in seiner Beschreibung Hamburgs wie folgt zusammen: „Wie der Chinese teilte er das ganze Menschengeschlecht in Hamburger und ‚Butenmenschen’. Was ihm höher schien, wollte er aus Trotz, was ihm niedriger war, aus Verachtung nicht kennen.“ Noch Thomas Mann schrieb 1904 an seinen Bruder Heinrich: „Es ist ein altes Lübecker Senatorssohnvorurtheil von mir, ein hochmüthiger Hanseateninstinkt, … daß im Vergleich mit uns eigentlich alles Übrige minderwerthig ist."

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Mäzenatentum – eine hanseatische Tugend

Seit der Reformation und später vor allem im 19. Jahrhundert setzten sich die Hamburger Kaufleute mit oft großzügig ausgestatteten Stiftungen ein Denkmal. Bis auf den heutigen Tag gehört es zu den vornehmsten hanseatischen Tugenden, seinem Stolz auf seine Stadt mit mäzenatischen Bürgersinn Ausdruck zu geben, das macht Hamburg heute zur „Stiftungshauptstadt“ der Bundesrepublik.

Prof. Dr. Michael Göring, der Vorsitzende des Bundesverbands Deutscher Stiftungen sowie der ZEIT-Stiftung begründet diesen anhaltenden Trend so: „Um Stiftungen zu gründen, braucht man neben Geld auch eine günstige Gesetzeslage, wie sie in Hamburg vorherrscht. Fast noch wichtiger aber ist die Vision und der Wille, etwas für das Gemeinwohl zu tun – eine Eigenschaft, die in den Hansestädten traditionell besonders stark ausgeprägt ist.“ Mehr als 1.300 Stiftungen haben ihren Sitz in Hamburg. Kein anderes Bundesland zählt so viele rechtsfähige Stiftungen bürgerlichen Rechts in Relation zur Einwohnerzahl. Stiften hat in Hamburg Tradition: Die älteste Hamburger Stiftung wurde bereits 1227 gegründet. 

Der Hanseat – unauffällig in der Stadt, Luxus auf dem Land

Lebte der Hanseat in der Stadt eher unauffällig in nüchternen Bürgerhäusern, liebte er es umso mehr, in seinen Landhäusern Luxus zu treiben und lebte so das ‚Hamburger Modell‘. Der für die quasi-adligen Landsitze betriebene Aufwand war zum Teil beträchtlich und übertraf den für manches Jagdschloss eines mecklenburgischen Landesherrn.

Kunst sammeln – Diskretion, bitte

In der Übertragung auf das 20. Jahrhundert und die bildende Kunst sowie das Sammeln derselbigen, hieß das häufig, dass es äußerst diskret und somit vorzugsweise außerhalb der Hansestadt gepflegt wurde. So ist es kein Wunder, dass der Eingeweihte viele hochkarätige und vielfach außerordentlich kenntnisreich strukturierte Sammlungen benennen kann, diese allerdings in der Öffentlichkeit kaum in Erscheinung treten. Entsprechende hochkarätige Leihgaben in prominenten Museumsausstellungen ziert im aufschlussreichsten Fall der Zusatz ‚norddeutsche Privatsammlung’.

Aber wo kaufte man ein? London, Basel, Maastricht und sogar immer häufiger im Rheinland. Und was kauft man? Grundsätzlich alles. Gerne aber auch zum Beispiel Ivo Hauptmann, Arthur Illies, Anita Reé oder Franz Erhard Walther, Joseph Beuys, Hanne Darboven, Andreas Slominski, Daniel Richter, Jochen Hein, Jonathan Meese: entweder Hamburger oder Künstler, die beispielsweise über ihre Lehrtätigkeit an der Hamburger Hochschule für Bildende Künste auf besondere Weise mit der Hansestadt verbunden sind. Hierbei handelt es sich also eben gerade nicht um das bekannte Phänomen des Propheten, der im eigenen Land nichts gilt, sondern vielmehr um ein überbordendes Maß an Diskretion, das Hamburger in die Ferne schweifen ließ, um dort das Gute von so nah aufzuspüren und zurück zu führen. 

Kunst sammeln heute – zwischen Sammlereifer und Anlageoption

Zwischenzeitlich hat das Sammeln von Kunst so weit um sich gegriffen, dass es sogar Städter ohne Landsitz im nicht mehr dänischen Altona oder Blankenese betreiben. Es musste nicht mehr als Privilegierten-Spleen abgetan werden, sondern betrifft breite Teile der bürgerlichen Gesellschaft. Heute bezeugen dies massenkompatible Formate wie eine Affordable Art Fair. Es spricht längst auch nichts mehr dagegen, seinen Sammlereifer offen auszuleben und dabei als Kollateralschaden der folglich lokalen Nachfrage die ganzheitliche Belebung der Kunst- und Kulturszene sowie die Heimholung der Wertschöpfung in Kauf zu nehmen. Jüngste schillernde Beispiele dieser Entwicklung sind Veranstaltungsformate wie die Add Art, der Salon der Gegenwart oder die Producers Artfair, kurz P/ART. Parallel entstehen im Gängeviertel und an unterschiedlichen weiteren spannenden Orten Atelierhäuser mit neuen zukunftsweisenden Konzepten.

Hat immer Bestand: die Freude am Kunstwerk

Zweifelsohne spielt zumeist auch der Blick auf die vielfach bemerkenswerten Preisentwicklungen zeitgenössischer Kunst beim Ankauf eine Rolle. Nicht nur bei den Gründungsmitgliedern der Zero Gruppe Otto Piene, Heinz Mack und Günther Uecker oder beim unangefochtenen Anführer der inoffiziellen Weltrangliste des Kunstkompasses, Gerhard Richter, jagt seit Jahren ein Auktionsrekord den nächsten. Auch junge Vertreter wie Alicja Kwade, Felix Rehfeld oder Simon Schubert erfahren interessante Marktentwicklungen. Was spricht also dagegen, den heimischen Wandschmuck mit einer lukrativen Geldanlage zu verbinden? Eigentlich nur die Makro-Risiken, denen jedes andere Investment auch unterliegt, die globale Konjunktur und vor allem die persönliche Fähigkeit zur Beurteilung von Top oder Flop. Eines wird aber Bestand haben, wenn die Kaufentscheidung in erster Linie dem individuellen Geschmack folgte: die Freude am eigenen Kunstwerk. Dennoch macht die Auseinandersetzung mit dem Thema nicht nur Spaß, sondern auch kaufmännisch Sinn. Schließlich spricht nichts dagegen, sich an einem Werk zu erfreuen, das zudem noch eine Wertsteigerung erfährt. An dieser Stelle hilft dem Hanseaten, dass er uneitel genug ist, im Zweifelsfall auch eine fachliche Expertise oder einen guten Rat einzuholen.

Der bereits zitierte Thomas Mann lässt seinen Romanhelden Johann Buddenbrook senior folgenden Rat erteilen: „Mein Sohn, sey mit Lust bey den Geschäften am Tage, aber mache nur solche, dass wir bey Nacht ruhig schlafen können“. Ein prominenter Privatsammler – aus dem Rheinland, wohlgemerkt – gab im Gespräch mit der ZEIT hingegen zu Protokoll: „Einen Sammler, der sich nicht permanent bis an die Grenzen verschuldet, kann ich gar nicht ernst nehmen.“ Hoffnungsvoll, dass das Kunst sammeln für einen Hamburger eben nicht nur eine geschäftlich-diskrete Angelegenheit ist, stimmt eine Aussage von Alfred Lichtwark, dem legendären ersten Direktor der Hamburger Kunsthalle, aus dem Jahr 1912: „Die Erfahrung lehrt, dass, wer auf irgendeinem Gebiet zu sammeln anfängt, eine Wandlung in seiner Seele anheben spürt. Er wird ein freudiger Mensch, den eine tiefere Teilnahme erfüllt, und ein offeneres Verständnis für die Dinge dieser Welt bewegt.“

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