„Werbung ist nicht nur Werbung, Kunst ist nicht nur Kunst.“
April 2015
Michael Schirner
Kreativdirektor, Künstler, Kurator, Autor
Gastbeitrag von Michael Schirner
Mit der Gleichsetzung von Werbung und Kunst, mit Büchern wie „Werbung ist Kunst”, Ausstellungen wie „Art meets Ads“, Kampagnen wie „schreIBMaschinen“, Medienkunstserien wie „Pictures in our Minds“ habe ich mich für die Überwindung der Grenzen zwischen angewandter und freier Kunst eingesetzt und bewiesen, dass die besten Ideen der Werbung aus der Kunst kommen und die besten Ideen der Kunst aus der Werbung.
DAS JÜNGSTE GERICHT
Angefangen hatte das vor 36 Jahren, als mich der Verband der Plakatunternehmen eingeladen hatte, auf seiner Jahreshauptversammlung in Stuttgart einen Vortrag vor 800 Leuten aus Werbung, Marketing und Medien zu halten. Mit einem Exkurs in die Kunstgeschichte erfand ich die Werbung neu und schrieb ein bisschen Werbegeschichte.
Ich hatte ein paar Dias mit, auf denen standen die Kernsätze meines Vortrags. Zu jedem Dia erzählte ich ein bisschen. Auf dem ersten stand der Satz, der im Publikum – dann in der gesamten Werbebranche und in den Medien – einen lustvollen Schmerzensschrei auslöste: „Werbung ist Kunst.“ Ich wechselte das Dia und da stand: „Konrad Henkel ist Julius der Zweite.“ Das war etwas übertrieben, denn Henkel war nun wirklich nicht für die Schönheit der deutschen Werbung bekannt. Das überging ich, indem ich verkündete, Männer wie Konrad Henkel spielten heute die Rolle, die Julius der Zweite, Giuliano de’ Medici und Francesco Sforza in der Renaissance gespielt hatten. Die Adligen und Kirchenfürsten der Vergangenheit sind heute die Wirtschaftsfürsten, die Mäzene, die Werbekünstler beauftragen, die Größe, die Klugheit und die Taten der Unternehmen für alle Welt sichtbar darzustellen. Und da die Taten der Fürsten heute ihre Produkte sind, und das Mittel, die Produkte kunstvoll auszudrücken, die Werbung, ist Werbung als Mittel der Selbstdarstellung der Wirtschaftsfürsten an die Stelle der Kunst getreten.
Ich sagte, das Jüngste Gericht von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle sei heute der außen knusprige, innen zarte Kartoffelpuffer von Pfanni und zeigte das Dia mit der Abbildung unseres Pfanni-Großflächenplakats mit dem riesigen Kartoffelpuffer und der Überschrift: Das jüngste Gericht.
Ich nutzte die Gelegenheit, um mit den Unternehmern im Publikum ein wenig ins Gericht zu gehen; ich wollte ihnen angesichts des knusprigen Kartoffelpuffers Appetit machen auf ihre Rolle als Fürsten, die sich fürstlich verhalten, wenn es um ihre Werbung geht. Ich forderte sie auf: „Begreifen Sie, dass Ihre Werbung Ihre Kunst ist, dass Sie der Mäzen Ihrer Werbekunst sind, dass diese Kunst Ihre Größe, Ihre Intelligenz, Ihre Sensibilität ausdrückt, dass sie Ihr Denkmal ist, Ihr Petersdom.“ Und den Artdirectoren rief ich zu: „Begreift, dass Ihr die Raffaels von heute seid und Eure Plakate, Anzeigen, Filme die Skulpturen und Paläste des Jahrhunderts.“
ART MEETS ADS
Meine These der Gleichsetzung von Werbung und Kunst ist zur erfolgreichen Strategie von Wirtschaft und Kunst geworden. Dass Werbung nicht nur Werbung ist und Kunst nicht nur Kunst, sondern beide sich auf der Ebene der Ästhetik und Kommunikation treffen, haben wir 1991 in der Ausstellung „Art meets Ads“ in der Düsseldorfer Kunsthalle gezeigt. Jürgen Harten, der Direktor der Kunsthalle, und ich kuratierten für die Ausstellung Arbeiten von internationalen renommierten Künstlern, deren Werke der Werbung sehr nahe kommen, sowie Arbeiten von Werbekreativen, die den Werken der Künstler ebenbürtig sind. In der Ausstellung hingen Kunstwerke neben Plakaten internationaler Kampagnen: zum Beispiel Benetton neben Jeff Koons neben Lucky Strike neben Damien Hirst neben Milka neben Martin Kippenberger neben Camel neben Jenny Holzer etc.
PICTURES IN OUR MINDS
Ein Beispiel dafür, wie aus dem Werbeauftrag eines Medienunternehmens eine Serie von Medienkunstwerken wurde, die ständig aktualisiert bis heute in Museen und Galerien ausgestellt und verkauft wird, sind meine Bilder der Serie “Pictures in our Minds”.
Der Intermedia-Kongress 1985, die Messe der neuen Medien in Hamburg, war der Anlass. Hier wollte das Magazin STERN ein Zeichen setzen und die Kraft und Überlegenheit des gedruckten Mediums exemplarisch demonstrieren. Für die Demonstration des Printmediums galt es, ein Ausstellungskonzept zu finden, eine Form der Präsentation für die stärksten Bilder, die je in Zeitschriften und Zeitungen veröffentlicht wurden. Uns war klar, dass es nicht damit getan war, die bekannten Bilder in einer Fotoausstellung nebeneinander zu hängen.
Wir wollten die Technik der Kommunikation von Imaginärem in der Kunst auf die Spitze treiben, indem wir uns weit entfernten von Referenzen auf Außenliegendes, uns stattdessen auf das Innere des Betrachters, seine Fantasie- und Gedankenarbeit beziehen. Wir machten den Betrachter zu seinem Medium: Die Hardware ist sein Gehirn, die Software seine Imagination, auf seiner Festplatte sind alle Bilder, die in seinem Kopf gespeichert sind. Deshalb gaben wir dem Projekt den Titel „Pictures in our Minds“.
Die Besucher der legendären Ausstellung, die zum ersten Mal in den Hamburger Messehallen gezeigt wurde, betraten eine Fotoausstellung ohne Fotos. Statt der Bilder sahen sie schwarze Tafeln, auf denen in weißer Schrift die Beschreibungen bekannter Fotos zu lesen sind.
„Der Fußabdruck des ersten Menschen auf dem Mond“
„Das Portrait Che Guevaras“
„Marilyn Monroe auf Subway-Luftschacht“
Die Texte auf den Tafeln des imaginären Museums ließen die Bilder in den Köpfen der Betrachter entstehen. Hier war nur noch die Imagination des Betrachters gefordert, das Schwarze der Tafeln aufzuhellen. Das ist die Kunst der Zukunft: Das Bild muss es aushalten können, ganz in der Imagination zu verschwinden. Der Text, und vor allem der Autor, müssen dasselbe aushalten können.
Die Akademie fürs Denken mit dem Knie
1981 machten wir eine Ausstellung mit dem Titel „Werbung als Kunst“. Joseph Beuys kam zur Ausstellungseröffnung in die Galerie von Hans Mayer in Düsseldorf. Später auch Andy Warhol. Eine hochkarätige Jury hatte die besten Kampagnen für die Ausstellung ausgesucht. Beuys signierte unser Plakat mit dem Wort schreIBMaschinen. Und auf unsere Anzeige für Hubert Burdas BUNTE schrieb er: „Hubert muss kommen“. Ich rief Burda an und am nächsten Tag trafen wir uns alle in der Ausstellung: Beuys, Burda, Warhol, Hans Mayer und ich. Warhol war begeistert von den ausgestellten Anzeigen und Plakaten und zitierte aus seiner Philosophy from A to B and Back Again:
„Making money is art and working is art and good business is the best art.“
Beuys wiederholte seine alte Forderung, dass jeder Mensch die Chance haben sollte, wie ein Künstler zu arbeiten:
„Jeder Mensch ist ein Künstler.“
Hans Mayer war da etwas anderer Meinung und fragte:
„Wenn jeder Mensch ein Künstler ist und alles Kunst, wo ist dann der Unterschied?“
Ich beruhigte ihn. Wenn jeder ein Künstler ist, dann ist der Unterschied der: Entweder ist er ein Künstler, der gute Kunst macht, oder einer, der keine gute Kunst macht. Gute Künstler denken und arbeiten anders als die anderen. Darauf Beuys:
„Ich denke sowieso mit dem Knie.“
Womit er meinte, dass lineares, logisches Denken mit Kopf oder Gehirn der Komplexität des künstlerischen Denkens nicht entspräche. Deshalb denken gute Künstler kreuz und quer und um die Ecke. Und das gehe nur mit dem Knie.
Ich sagte, ich würde gern eine Schule aufmachen, wo die besten Künstler und Denker das künstlerische Denken von Führungskräften fördern. Und ich fragte Beuys, wie er den Namen finde: Die Akademie fürs Denken mit dem Knie.
Nicht schlecht, meinte Beuys. Toll, sagte Hubert Burda und riet mir, dafür eine Stiftung ins Leben zu rufen. 2012 gründeten wir die gemeinnützige Schirner Zang Foundation Berlin. Zweck der Foundation ist die Förderung von Kunst und Kultur, Wissenschaft und Forschung, Bildung und Erziehung sowie dem internationalen Kulturaustausch. Diesen Zweck verwirklicht die Foundation insbesondere durch die Beschaffung und Weiterleitung von Mitteln für ihre Förderprojekte.
Ein Projekt der Schirner Zang Foundation Berlin ist „Die Akademie fürs Denken mit dem Knie“. Hier sind einige Programmbeispiele:
Die 24-Session mit dem „Dinner for the Mind“
Wir laden die besten Köpfe aus Wirtschaft und Wissenschaft für 24 Stunden zusammen mit begnadeten hochbegabten Künstlern und inspirierenden Meisterdenkern zum „Dinner for the Mind“; in 24 Stunden werden sich Denken, Fühlen und Handeln der Gäste kategorisch verändern: Sie werden lernen, mit dem Knie zu denken, sie werden die Welt mit anderen Augen sehen, sie werden auf Ideen kommen, die die Welt verändern, sie werden erleben, dass nichts unmöglich ist und alles geht, wenn es geht.
Das Future LAB der Akademie fürs Denken mit dem Knie:
Jedes Jahr soll in Berlin ein 3-tägiges Symposiun stattfinden: das Future LAB, eine Zukunftswerkstatt für die interdisziplinäre, interkulturelle, internationale Arbeit an Forschungs- und Entwicklungsprojekten. Im LAB arbeiten Künstler und Denker mit Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft an Lösungen für die Verbesserung der Welt von morgen. Die Ergebnisse der LABs werden in Vorträgen und Podiumsdiskussionen, Ausstellungen und Publikationen vorgestellt. Im LAB der Akademie fürs Denken mit den Knie lernen Nicht-Künstler von Künstlern und umgekehrt.
Vielleicht schafft es „Die Akademie fürs Denken mit dem Knie“, dass es in Zukunft nicht nur mehr Werbung gibt, die gute Kunst ist, sondern dass unsere Welt etwas schöner, angenehmer und besser wird.
Quelle: www.sz-foundation.de
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