„Wir wollten Farbe, Spaß und Überraschungsmomente schaffen, damit unsere Mitarbeiter etwas Neues entdecken.“
Oktober 2019
Frank Moll
Vorstandsvorsitzender Tallence AG und Geschäftsführer Code Working Space
Welche Rolle spielt Kunst für Sie und Ihr Unternehmen?
In meinem Leben hat Kultur und der Austausch darüber immer eine große Rolle gespielt. Ich bin der festen Meinung, dass sie die Basis bildet, auf der unsere Gesellschaft funktionieren kann. Wenn es die Kultur nicht gäbe – was bliebe uns dann?
In der Kunst habe ich meine persönliche Leidenschaft gefunden. Ich genieße den Austausch, die Diversität, das manchmal zu Übertriebene und doch Den-Nagel-auf-den-Kopf-Getroffene. Für mich ist die Kunst auch ein wunderbarer Ausgleich zu unserem sehr virtuellen Geschäft. Diese im wahrsten Sinne des Wortes greifbare Handarbeit von Menschen macht Stimmung, holt den Blick weg vom Bildschirm und lässt uns in den reellen Austausch gehen, statt in uns selbst versunken in die Röhre zu blicken.
Im Code Working Space ist der Künstler Stefan Mosebach mit Wandarbeiten vertreten, bei Tallence sind vorwiegend Arbeiten des deutschen Pop-Art-Künstlers Jim Avignon zu sehen. Wie kam es zur Zusammenarbeit, welche Kriterien waren für Sie bei der Auswahl der Künstler wichtig?
Jim wurde uns von der Berliner Kunstgalerie Art von Frei vermittelt, die meine Schwester Eva Jordan betreibt. Besonders gereizt hat uns, dass wir das Ergebnis nicht kannten. Er hat das Büro zwei Tage für sich allein gehabt und spontan seine Eindrücke verarbeitet. Das war für uns ein Wagnis. Wir wollten Farbe, Spaß und Überraschungsmomente schaffen, die unseren Mitarbeiter die Möglichkeit geben, etwas Neues zu entdecken. Die Kunst in unseren Räumen sollte nicht tragend, schwer oder klassisch sein, sondern wie wir – locker, leidenschaftlich und unkompliziert.
Der Code Working Space wurde anders als die Büroräume von Tallence direkt von Anfang an gemeinsam mit der Designagentur Bräutigam & Rotermund und dem Architektenbüro PARAT entwickelt. Stefan Mosebachs besondere Art, den Alltag in der Illustration zu personalisieren, Charaktere zu entwickeln und dadurch Charakter zu geben, passte in unsere Vision für einen willkommen heißenden offenen Coworking Space inmitten der digitalen Welt.
Welche Freiheiten hatten die Künstler bei der Gestaltung, wie lief die Umsetzung ab?
Für die Gestaltung der Räumlichkeiten bei Tallence haben wir einen sehr freien Ansatz für Jim Avignon gewählt. Wir haben mit ihm gemeinsam die Bestimmung der jeweiligen Räumlichkeiten besprochen, dann auf einen Freitagabend die Tür hinter uns zugemacht und ihn übers Wochenende mit seiner Arbeit alleine gelassen. Am Montagmorgen haben wir einen ersten Blick in unsere verwandelten Räume geworfen.
Es ist bis heute spannend zu sehen, wie Jim uns und unsere Räume interpretiert hat – an welchen Ecken wir nach Tagen immer noch kleine Illustrationen entdeckt haben, deren Inhalt wir heute vielleicht anders interpretieren oder die daran erinnern, was ursprünglich mal die Bestimmung des Raumes war – zum Beispiel die Hundehütte über dem ehemaligen Platz eines Bürohundes, der inzwischen lange umgezogen ist. Das Hüttchen bleibt aber natürlich, wo es ist.
Mit Stefan Mosebach sind wir für den Code Working Space in einen engeren Abstimmungsprozess gegangen. Passend zu unserem Raumkonzept haben wir gemeinsam die zu gestaltenden Flächen definiert und die Botschaft, die vermittelt werden soll. In unserem Coworking Space stehen Arbeit und Vernetzung, sowie die Schaffung kreativer Gedanken an erster Stelle – aber der Spaß soll nicht zu kurz kommen. So wurden Symbole wie eine Netzstruktur, Bleistift und auch das Cocktailglas zu wiederkehrenden Elementen unserer Wandgestaltung.
Gab es auch mal unterschiedliche Vorstellungen bei der Umsetzung – und wenn ja, wie wurde das gelöst?
Da wir das Steuer in der Arbeit mit Jim Avignon in den Räumlichkeiten von Tallence bewusst aus der Hand gegeben haben, gab es hier im Nachhinein wenig zu rütteln – nicht, dass wir es gewollt hätten. Das Ergebnis ist genau so überraschend und frei, wie wir es uns gewünscht haben. Natürlich gibt es den einen oder anderen Perfektionisten unter den Design-Kollegen, der Dinge anders gemacht hätte. Oder sich zumindest die Bleistiftstriche der Skizzen unter den finalen Werken hinfort wünschen würde – aber genau das wollten wir erreichen. Die Werke bewegen und sorgen für Diskussion und Austausch. Das muss nicht immer positiv sein. Kunstgeschmack entwickelt sich auch an Werken, die man nicht mag. Aber ohne Input entwickelt er sich nicht.
Wie war es für die Künstler, in einem Unternehmen „live“ zu arbeiten?
Da wir gerade mit Stefan Mosebach im Code Working Space eng zusammengearbeitet haben, können wir hier vielleicht noch eher eine Antwort geben. Stefan hatte zwei unterschiedliche Herangehensweisen für die drei verschiedenen Motivflächen. Das „Hauptmotiv“ ist dicht an der ursprünglichen Grafik gehalten – hier mussten auch gerade wegen des Rohbauzustands der Bürofläche noch viele bis dato nicht existente Einbauten wie Lampentiefe und Tribüne beachtet werden. Erst beim Projizieren des Beamers an die Wand wurde uns allen die tatsächliche Dimension des Motivs wirklich bewusst. Und die Arbeitszeit einschätzbarer.
Die anderen zwei Motive wurden laut gedacht und als Entwurf durchgesprochen – und dann hat Stefan einfach mal geschaut, wie es an der Wand funktioniert. Gerade der enge Eingangskorridor im Code Working Space ist eine räumliche Herausforderung – da war es wichtig, auch ein wenig aus den ursprünglichen Gedanken ausbrechen zu können. Das geht dann durch kurze Wege für Absprachen vor Ort natürlich viel schneller.
Wie waren die Reaktionen bei den Mitarbeitern damals bei der Schaffung und Hängung der Werke, wie sind sie heute?
Ich glaube, viele der Mitarbeiter bei Tallence nehmen die Kunst gar nicht zwangsläufig als eigenständige Kunstwerke wahr, sondern mehr als harmonischer Teil der Arbeitsumgebung, der immer mal wieder mit einem Augenzwinkern überrascht. Wir haben uns ja durchaus bewusst dafür entschieden, unsere Kunst zum großen Teil direkt auf die Wände malen zu lassen und nicht besonders hervorgehoben zu hängen, um genau diesen Effekt zu erreichen.
Wirkt sich die Kunst auch auf Ihre Kundenbeziehungen aus?
Die Kunst in unserem Office ist oft ein guter Eisbrecher als Einstieg für interessante Gespräche. Die Mitglieder im Code Working Space freuen sich über unsere Wand-Charaktere wie über ihre Co-Worker. Unser Gefühl ist es, dass sie zum entspannten und kreativen Klima im Space beitragen.
Braucht Kunst im Unternehmen auch Vermittlung für die Mitarbeiter und Kunden?
Wir haben nicht den Anspruch, unsere Mitarbeiter zu Kunstexperten zu machen. Eine lebendige Diskussion darüber ist das entscheidende Momentum. Wenn sich daraus Interesse entwickelt, haben wir etwas erreicht. Beispielsweise war die provisorische Ausführung der Werke von Jim bei vielen Mitarbeitern Anstoß für Diskussion. Nach vielen Gesprächen darüber und der tieferen Auseinandersetzung wurde vielen klar, dass die Vergänglichkeit Teil des Werkes und der Botschaft ist. Heute stört sich niemand mehr daran, dass es keine Rahmung gibt.
Wie und wo lassen Sie sich persönlich für den Kauf von Kunst inspirieren?
Das ist ganz unterschiedlich. In manchen Fällen wird man auf den Künstler aufmerksam, manchmal steht das Werk im Vordergrund. Der persönliche Kontakt spielt dabei eine wichtige Rolle. Diesen erhalten wir auf Vernissagen oder Kunstmessen.
Welcher Künstler oder welches Kunstwerk inspiriert Sie – auch ganz unabhängig von den Künstlern in Ihren Räumen – persönlich ganz besonders, und warum?
Ich bin bekennender Fan von Marc Fromm. Als Bildhauer verbindet er handwerkliche Perfektion mit künstlicher Gestaltung. Seine Botschaft hat etwas aufrüttelndes, bewegendes und meist einen Bezug zu unserer heutigen Gesellschaft. Wenn Sie vor seinem Werk „Metzgerin“ stehen, 2 auf 3 Meter groß, dann lässt Sie das nicht kalt.
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